Projektteile
In der zweiten Projektphase werden auf der Grundlage der im ersten Jahr erarbeiteten Quellenbasis die beiden Dimensionen des Kommunikationsaktes „Supplikation“ vertiefend erschlossen, um Suppliken als Bestandteil eines umfassenden, komplexen Kommunikationsvorgangs beschreiben zu können. Diesen gilt es aus der Perspektive sowohl der supplizierenden Untertanen und ihren Obrigkeiten (Projektteil Eichstätt) als auch aus der des kaiserlichen Adressaten (Projektteil Graz) zu beleuchten.
Handlungs- und Wirkungsweisen von Supplikanten und ihren Obrigkeiten in ausgewählten süddeutschen Städten und Territorien
Im Eichstätter Projektteil erfolgt der Zugriff auf den Kommunikationsakt „Supplik“ aus der Perspektive der reichsmittelbaren Untertanen und ihrer territorialen bzw. städtischen Obrigkeiten. Das Forschungsvorhaben untersucht ausgehend von der herrschaftlichen, sozialen, ständischen und biographischen Situation der Supplikanten die kommunikative sowie die praxeologische Wirkungskraft der kaiserlichen Interventionen in ausgewählten süddeutschen Territorien und Städten. Im Fokus stehen dabei die Wahrnehmung, Reflexion und Umsetzung kaiserlicher Rechts- und Gnadengewalt ebenso wie der politisch-normative Diskurs über die Legitimierung kaiserlicher Macht.
Zusätzlich zu den Beständen des Reichshofrats im HSTA Wien werden die Parallelüberlieferungen geistlicher und weltlicher Herrschaftsträger in Franken, Schwaben und Altbayern herangezogen und ausgewertet. Die in den unterschiedlichen Archiven aufgefundenen Quellen sind allerdings nicht nur für die Erforschung der Rechts- und Verwaltungsgeschichte relevant. Als Ego-Dokumente mit realen bzw. fingierten Selbstbeschreibungen ermöglichen Suppliken auch sozial- und kulturhistorische Einblicke in Lebensumstände und Denkweisen verschiedenster Gesellschaftsgruppen.
Kaiserliche Rechts- und Gnadengewalt in actu – die Dimension des Supplikenempfängers
Der im Zentrum des Grazer Projektteils stehende Zugriff knüpft an ein für die Reichshofratsgeschichte generell zu beobachtendes Forschungsdesiderat an, unserem nur punktuellen Wissen über die reichshofrätliche Verfahrenspraxis, die auch und gerade in ihrem Spannungsfeld zur besser erforschten normativen Dimension des reichshofrätlichen Handelns betrachtet werden soll. Das heuristische Potential der detaillierten Analyse der diskursiven wie performativen Bestandteile von Verfahren für eine Kulturgeschichte des Politischen wurde jüngst mehrfach unter Beweis gestellt.
Der Blick auf das Handlungsmuster von Untertanen, Bittschriften an den Kaiser zu richten (Projektteil Eichstätt), ist lediglich ein Aspekt der Supplikationspraxis, provozierte die Übergabe der Suppliken immer auch ein Tätig-werden von Seiten des Kaisers. Wie und in welcher Weise der Reichshofrat mit den ihm zur Bearbeitung übergebenen Untertanensuppliken verfuhr und die Supplikenpraxis im reichshofrätlichen Verfahren ihren Niederschlag fand, ist Gegenstand des Erkenntnisinteresses des in Graz bearbeiteten Teilprojekts. Damit eröffnet diese Fragestellung zugleich Einblicke in die unauflösliche, jedoch bislang nur punktuell erforschte Verwobenheit kaiserlicher Rechts- und Gnadengewalt, die der Supplikationspraxis ebenso voraus liegt wie sie sich in ihr konkretisiert.